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Grundsteuer-Musterverfahren
Erste Musterklagen eingereicht
Haus & Grund sowie der Bund der Steuerzahler (BdSt) unterstützen mehrere Eigentümer, die sich vor Gericht gegen die Bewertung ihrer Grundstücke im Rahmen der Grundsteuerreform wehren. Sämtliche aktuell betreuten Verfahren betreffen das Grundsteuer-Bundesmodell, das in allen Bundesländern außer Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen zur Anwendung kommt.
In Berlin und Rheinland-Pfalz wurden jetzt die ersten von den beiden Verbänden begleiteten Klagen bei den Finanzgerichten eingereicht. Die Klagen richten sich gegen die Bescheide über die Feststellung des Grundsteuerwertes zum 1. Januar 2022 nach dem Bundesmodell. Die neue Bewertung war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht die bisher geltende Bewertung für die Grundsteuer als verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert hat, ein neues Bewertungsverfahren zu schaffen. Ab Januar 2025 sollen die Kommunen die neue Grundsteuer aufgrund der Bescheide über den Grundsteuerwert und die darauf festgesetzten Grundsteuermessbeträge erheben.
Haus & Grund hält die neue Bewertung im Bundesmodell aus zahlreichen Gründen für verfassungswidrig und unterstützt eine erneute Prüfung der Bewertungsregeln durch das Bundesverfassungsgericht. Im Rahmen der Klagen wird das Rechtsgutachten von Professor Dr. Gregor Kirchhof zur Begründung eingebracht. Der Verfassungsrechtler war zu dem Ergebnis gekommen, dass das Grundsteuer-Bewertungsmodell des Bundes verfassungswidrig ist. Vor allem die pauschal anzusetzenden Mieten bei der Bewertung der Grundstücke und die Bodenrichtwerte beeinflussen die Werte der nach dem Bundesmodell bewerteten Grundstücke in vielen Fällen deutlich.
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Das sind die Fälle:
Berlin
Im Berliner Klageverfahren geht es um eine vermietete Eigentumswohnung in unmittelbarer Nähe einer Bahntrasse. Die Wohnung wurde mit einer Nettokaltmiete von 5,07 Euro pro Quadratmeter vermietet (zum Stichtag der Bewertung am 1. Januar 2022). Der Grundsteuerbescheid setzt eine monatliche Nettokaltmiete von 9,32 Euro pro Quadratmeter als pauschalierte Miete nach dem neuen Bewertungssystem an. Dieser Wert liegt damit fast 84 Prozent höher als die erzielte Miete. Der Wert ist auch tatsächlich nicht realisierbar: Nach geltendem Mietrecht kann ein Vermieter die Zustimmung zu einer Mieterhöhung nur bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen. Und dies gilt nur, wenn die Miete zum Zeitpunkt der beabsichtigten Erhöhung seit 15 Monaten unverändert war. Der Berliner Mietspiegel enthält in seiner Fassung von 2021 als Mittelwert der ortsüblichen Miete lediglich einen Wert von 6,47 Euro pro Quadratmeter. Über diesen Wert kann der betroffene Eigentümer nicht hinausgehen. Sollte er dies dennoch versuchen, hat der Mieter die Möglichkeit, sich gerichtlich dagegen zur Wehr zu setzen.
Rheinland-Pfalz
In Rheinland-Pfalz handelt es sich um ein Einfamilienhaus, das zum Stichtag der Bewertung am 1. Januar 2022 für 650 Euro kalt vermietet wurde. Der Grundsteuerbescheid setzt aber einen Betrag von 895,52 Euro als pauschalierte Miete nach dem neuen Bewertungssystem an. Dieser Wert ist nicht nur knapp ein Drittel höher als die erzielte Miete, sondern auch tatsächlich nicht realisierbar. Die Eigentümerin hatte im Jahr 2020 die zum damaligen Zeitpunkt vertraglich vereinbarte Miete von 650 Euro erhöhen wollen. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Mietpartei wurde es erforderlich, ein Miethöhegutachten in Auftrag zu geben, um das Mieterhöhungsbegehren zu begründen. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige hat dann in seinem Gutachten vom 20. März 2020 eine ortsübliche Nettokaltmiete von 770 Euro ermittelt. Im Rahmen eines zivilrechtlichen Rechtsstreits über die Zulässigkeit der vorgenommenen Mieterhöhung holte das angerufene Amtsgericht Bingen am Rhein ein weiteres Miethöhegutachten durch Beauftragung eines öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters ein. Auch das Miethöhegutachten vom 22. September 2022 kam für den Wertermittlungsstichtag – 19. Februar 2020 – auf eine ortsübliche Nettovergleichsmiete von 760 Euro. Die im angefochtenen Bescheid angesetzte Nettokaltmiete weicht somit deutlich von den beiden gutachterlich ermittelten Werten ab.
Bodenrichtwert – ein Streitpunkt in beiden Musterfällen
Beim Bundesmodell richtet sich die Grundsteuer insgesamt nach den Bodenrichtwerten. Das Steuerrecht nutzt diese Werte für unterschiedliche Abgaben. Dennoch ist die Steuerbemessung nach diesen durchschnittlichen Lagewerten zuweilen ungenau. Dies gilt vor allem dann, wenn Gutachterausschüsse für ein Gebiet fehlen oder personell unzureichend ausgestattet sind, wenn die Kaufpreissammlungen nicht ausreichen, wenn ein Bodenrichtwert nicht vorhanden ist und daher Werte vergleichbarer Flächen heranzuziehen sind oder wenn lagebedingte Wertminderungen entstehen. Insgesamt weisen die Bodenrichtwerte somit laut Verfassungsrecht-Gutachten „systematische Bewertungslücken“ auf. Teilweise werden Flächen als bebaubar ausgewiesen, obwohl diese Grundstücke nicht erschlossen sind oder keine Baugenehmigung für sie erteilt werden kann.
Bodenrichtwerte quer durch Deutschland sind wenig vergleichbar. So hat zum Beispiel die hervorragende Berliner Wohnlage Wannsee zum 1. Januar 2022 einen Bodenrichtwert von 2.000 Euro. In der deutlich schlechteren Lage Berlin-Neukölln liegt der Wert bei 4.000 Euro – doppelt so hoch. In Rheinland-Pfalz gibt es ähnliche Beispiele: So liegt in Mainz-Weisenau der Bodenrichtwert für ältere Etagenwohnungen in Hochhäusern in der Laubenheimer Straße bei 920 Euro, dagegen gilt in der deutlich besseren Lage Im Hasenstock – mit einer Bebauung von neuen Doppelhaushälften – ein Wert von 660 Euro. Ein weiteres Beispiel aus dem Bundesland findet sich in Koblenz: So hat die reizvolle Wohnlage in Moselweiß am Moselufer teils einen Bodenrichtwert von 400 Euro – in der weniger attraktiven Lage Koblenz-Goldgrube, einer Gegend mit Reihenhäusern, beträgt der Bodenrichtwert 700 Euro.
Fazit von Sibylle Barent, Leiterin Steuer- und Finanzpolitik
„Das Bewertungsgesetz, in dem auch die Grundsteuerbewertung nach Bundesmodell geregelt ist, gesteht Eigentümern für andere Steuerarten wie zum Beispiel der Erbschaftsteuer zu, einen niedrigeren tatsächlichen Wert nachzuweisen. Das Grundsteuermodell des Bundes aber verwehrt diesen Gegenbeweis in verfassungswidriger Weise. Gegen die oftmals nicht nachvollziehbaren Grundsteuer-Bodenrichtwerte kann der Eigentümer keinen Widerspruch erheben oder auch nur die Herleitung der Bodenrichtwerte rechtlich überprüfen lassen. Ähnlich verhält es sich mit den angesetzten Mietwerten. Eigentümer können sich auf die Musterklagen berufen und Einspruch gegen ihren Feststellungsbescheid über den Grundsteuerwert beim Finanzamt einlegen sowie das Ruhen des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen beantragen. Kommt das Finanzamt dem Antrag nach, bleibt das Einspruchsverfahren bis zu einem Urteil in der Musterklage offen, auch wenn das von der Zahlung der Steuer nicht entbindet. Das Einspruchsverfahren ist im Gegensatz zu einer Klage kostenfrei.“
Praxistipp
Eigentümer sollten unter Verweis auf laufende Verfahren (Aktenzeichen Berlin: 3 K 3142/23, Aktenzeichen Rheinland-Pfalz: 4 K 1205/23) Einspruch gegen den Grundsteuer-Wertbescheid erheben und Ruhen des Verfahrens, notfalls bei unverschuldet abgelaufener Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen.